Eine rührende Weihnachtsgeschichte

Auf dieser Seite laden wir dich herzlich zu einer rührenden, besinnlichen Weihnachtsgeschichte ein über einen verloren gegangenen Sohn, der seine Familie in der Heiligen Nacht wieder fand.

Der Gast in der Weihnachtsnacht

Als Frau Harms am Nachmittag von der Klinik nach Hause ging, fing es leise an zu schneien. Die Schneeflocken wirbelten ihr ins Gesicht, tropften in ihr Haar, wo sie sich zu kleinen Eiskristallen festsetzten. Müde war sie und durchnässt, als sie in der Wohnung ankam. Sie holte ein frisches Handtuch und trocknete sich erst mal die nassen Haare, dann drehte sie die Heizung höher, ließ heißes Wasser in die Badewanne laufen, träufelte einige Tropfen Zitronenöl hinein und überließ sich der wohligen Entspannung.

Danach brühte sie starken Kaffee auf, nahm einen Schluck und ging ins Wohnzimmer und setzte sich in den bequemen Sessel vor dem Kamin. Ein anstrengender Tag ist das wieder gewesen. Um ein Haar hätte sie vergessen, dass heute Weihnachten ist: ‚Heilig Abend’.

„Herrje´ und ich bin allein, zum ersten Mal an Weihnachten allein ...“

Gregor, ihr Mann lag in der Klinik. Der dritte Herzinfarkt in zwei Jahren.

„Diesmal wird er das nicht überleben“, meinte der Arzt.

Draußen fing Hasso an zu bellen. Das war ungewöhnlich um diese Zeit. Frau Harms richtete etwas Futter, und lief hinaus zur Hundehütte.

„Was ist denn los, Hasso?“

Das aufgeregte Bellen verstärkte sich. Sie machte ihn von der Kette los, drehte einige Runden mit ihm. Hasso witterte etwas und zog sie ungeduldig zu der Bank unter dem alten Nussbaum, der ein wenig abseits vom Gartentor stand.

"Was war das?"

Hoch aufgetürmt lag Schnee auf der Bank. Nein, da bewegte sich etwas. Frau Harms erschrak. Da lag doch jemand auf der Bank. Irgendein Landstreicher, der vor Erschöpfung eingeschlafen ist. „Mein Gott, auch das noch!“ Sie wischte sachte den Schnee von der Bank, ging zurück ins Haus, holte eine warme Decke und legte sie vorsichtig über die schlummernde Gestalt.

"Wenn das so weiterschneit, wird die Decke nicht genügen", dachte sie.

Rührende Weihnachtsheschichte: Der Gast in der Weihnachtsnacht

"Er wird erfrieren heute Nacht. In der Heiligen Nacht. Auf der Bank vor meinem Haus. Wenn ich nicht helfe, wird er sterben. Dieser Obdachlose wird nicht überleben, so wie mein Mann in der Klinik nicht überleben wird. Was ist das für eine Weihnacht."

Frau Harms brachte ihm eine Schale heißen Kaffee. Behutsam weckte sie den Landstreicher, flößte ihm etwas von dem belebenden Getränk ein. Langsam kam er zu sich, richtete sich mühsam auf. Sie sah sein Gesicht, das müde und verhärmt wirkte, ein Gesicht mit großen traurigen Augen. Sollte sie die Polizei rufen? Oder das Obdachlosenasyl verständigen? Sie vergaß alle Vorsichtsmaßregeln. Gegen alle Vernunft, bat sie den Heruntergekommenen in ihre Wohnung. Der konnte sich kaum mehr auf den Füßen halten. Sie gab ihm Handtücher und schickte ihn damit ins Bad. Sie suchte frische Wäsche und einen Anzug ihres Mannes. Der Rasierapparat lag noch auf dem Waschtisch.

Unterdessen schmückte sie das kleine Weihnachtsbäumchen, holte die Krippe und die Figuren vom Dachboden und stellte sie auf. Dabei glitten ihre Hände liebevoll über die Krippenfiguren: Maria mit dem sanften Gesicht, der treue Josef, die Hirten mit ihren Lämmern, und ganz hinten im Stall das Öchslein und der Esel.

Ihr Sohn hatte diese Figuren geschnitzt, vor Jahren, bevor er auf so mysteriöse Weise verschwunden ist. In der Werkstatt des Vaters, in der Schreinerei hätte er ein sicheres Auskommen gehabt, auch genügend Zeit um seiner Lieblingsbeschäftigung, der Holzschnitzerei nachzugehen. Er wollte eine Lehre bei einem Bildhauer machen und später die Kunstakademie besuchen. Er hatte doch Pläne! Warum sollte er wegbleiben, ohne eine Nachricht zu hinterlassen? Was ist vorgefallen in Marokko, dass er nicht mehr zurückgekommen ist?

Es war die erste große Reise, die er nach bestandenem Abitur unternommen hatte. Alle Nach-Forschungen fruchteten nichts. Er blieb verschollen. Das hat den Vater krank gemacht. Zehn lange Jahre hatten sie schon gewartet und gehofft, dass er wieder kommt. Die Zeit ist immer länger und die Hoffnung immer kleiner geworden.

Ganz in Gedanken versunken hantierte Frau Harms weiter, so dass sie fast nicht bemerkte, wie der seltsame Gast aus dem Bad in die Wohnstube trat. Er war kaum wieder zu erkennen.

"Wie manierlich er aussieht, so frisch eingekleidet," dachte Frau Harms und eine Welle der Sympathie durchströmte sie.

Sie bat ihn Platz zu nehmen, während sie in die Küche ging und ein schmackhaftes Mahl zubereitete. Eine kräftige Suppe, danach für jeden ein Stück von der köstlichen Entenbrust mit gerösteten Kastanien, Bratkartoffeln und Apfel-Kompott. Eine Flasche Wein hatte sie vor Tagen schon bereitgestellt, in der Hoffnung, dass ihr Mann auch dieses Jahr das Fest an ihrer Seite feiern könne.

Nun saß dieser geheimnisvolle Fremde neben ihr. Abgemagert, sein Gesicht gezeichnet von den Entbehrungen der letzten Jahre. Er nahm die Einladung dankbar an. Seine bleichen Wangen röteten sich, als er die dampfende Suppe mit sichtlichem Behagen auslöffelte.

Die Gastgeberin zündete die Kerzen an der Krippe und am Bäumchen an und summte leise ein Weihnachtslied vor sich hin. Leise und verhalten stimmte der weihnachtliche Gast mit ein. Es waren die gleichen Lieder, die er in seiner Kindheit gesungen hatte. Sie tranken von dem Wein, der ihre Zungen löste. Zuerst stockend, dann immer fließender erzählte der Fremde aus seinem Leben:

Er war gerade 17 geworden, hatte seinen Geburtstag gefeiert, als er nichts Böses ahnend in die Hände der Fremdenlegion fiel. Er saß an der Bar, irgendwo, in Marokko, trank einen Aperitif und war in interessante und aufregende Gespräche verwickelt. Er hatte nicht bemerkt, dass ihm die falschen Freunde etwas in sein Glas gekippt hatten. Sie luden ihn ein, machten ihn betrunken und ließen ihn ein Papier unterschreiben, das ihn für 10 Jahre an die Fremdenlegion band. Den Pass hatten sie ihm abgenommen. Er war ihnen ausgeliefert. Alles Weinen und Flehen nutzte nichts. Polizei und Konsulat standen nicht auf seiner Seite. Wie sollten sie auch, wenn sich einer nicht ausweisen kann, ist er für die Behörden verdächtig. Fremdenlegion oder Gefängnis. Das war die einzige Alternative, die ihm bevorstand.

Frau Harms hörte ergriffen zu. Ein ähnliches Schicksal könnte auch ihren Sohn getroffen haben. Beim flackernden Kerzenschein wirkte das Gesicht des Mannes weicher, gelöster. Sah er nicht Ulrich ein wenig ähnlich?

Ihre Gedanken kreisten um die Werkstatt, die leer stand, weil ihr Mann in der Klinik lag und der Sohn verschollen war seit Jahren. Plötzlich konnte sie aussprechen, was ihr wie Zentnerlast auf der Seele lag, sie konnte es jemandem mitteilen. Der junge Gast war ganz Ohr. Die Vergangenheit wurde in ihm wieder lebendig. Als die Frau versonnen schwieg, fuhr er in seiner Geschichte fort, berichtete, wie er bei einem Marsch in der glühenden Sonnenhitze halb ohnmächtig auf der Straße liegen blieb. Keiner kümmerte sich um ihn. Wäre er nicht mit letzter Kraft an den Straßenrand gerollt, sie wären über ihn hinweg geschritten. Marschierend hätten sie ihn tot getrampelt. Die meisten hatten ihre Gefühle schon mit dem Eintritt in die Legion abgegeben. Wenn das Töten zum Handwerk wird, sterben auch die restlichen Gefühle, die eventuell noch übrig geblieben sind.

Dieser Hölle war er entkommen. Eine Zeitlang schlug er sich bettelnd und mit Gelegenheitsarbeiten durch. Durch Zufall gelang es ihm mit einer Schausteller-Truppe die Grenze zu passieren. Die Schausteller fragen nicht, wo einer herkommt, was er gemacht hat und ob er sich ausweisen kann. Das ist ihnen egal. Hauptsache, er kann hart arbeiten. Für wenig Lohn.

Der Gast hielt inne. Die Stimme versagte ihm. Er war sichtlich aufgewühlt. Seine innere Erregtheit teilte sich auch der Zuhörenden mit. Eine Weile saßen sie sich stumm gegenüber.

Es war, als hätte jeder aus derselben Geschichte nur ein anderes Kapitel aufgeschlagen. Eine Geschichte, deren Ende zwei Menschen zusammen führte, die sich fremd geworden waren. Sie fanden zueinander in dieser Weihnachtsnacht.

Mutter Harms führte den Jungen in die Werkstatt. Seine Hände glitten über das Holz, als erspürten sie die Figuren, die darin stecken, wenn man sie nur schnitzend herausarbeitet. Er holte das Schnitzmesser aus der Schublade. Es lag noch immer an dem Platz, wo er es vor 10 Jahren aufbewahrt hatte. Wie von selbst fing das Messer an zu schnitzen in seiner Hand.

„Ulrich, du bist es tatsächlich! Dass ich das noch erleben darf...“sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Wortlos fiel ihr der Junge in die Arme. In diesem Augenblick schmolz die Zeit, die trennend zwischen ihnen lag, wie tauendes Eis in der Sonne.

Dann richtete die Mutter dem Heimgekommenen die Stube, die er vor Jahren bewohnt hatte. Am nächsten Vormittag gingen sie gemeinsam in die Klinik um Vater zu besuchen. Bleich und abgemagert lag er in den Kissen, schlafend oder vor sich hin dämmernd. Ulrich streichelte über sein Gesicht, nahm seine reglose Hand und hielt sie fest. Nach einer langen Weile erwiderte der Kranke den Händedruck und schlug die Augen auf. Sie waren auf Ulrich gerichtet. Er musterte die Gestalt des Jungen, erst fragend dann staunend, plötzlich kam ein Leuchten in die weit aufgerissenen Augen. Der Vater erkannte seinen Sohn. Der beugte sich nieder und küsste ihn auf die Wangen. Der Kranke war unfähig, ein Wort hervor zu bringen. Aber eine Träne rollte langsam über sein Gesicht.


Lilo Külp
www.kuelp.net

Download
Weihnachtsgeschichte zum kostenlosen Ausdrucken:
Gast-Weihnachtsnacht.pdf
Adobe Acrobat Dokument 282.3 KB

Seite 14 von 17


Deine Vorschläge: Du hast eine berührende Weihnachtsgeschichte geschrieben und würdest dich freuen, wenn diese hier veröffentlicht wird? Dann schicke sie uns gerne zu, Wir freuen uns auf deine Post.